Die beiden Berliner Trabrennbahnen haben die wirtschaftlich schwierigen Zeiten für den Pferderennsport überstanden
Ein Mittwochvormittag Anfang Juni in Berlin-Karlshorst. Schon der Termin legt nahe, dass nicht der ganz große Andrang auf der ortsansässigen Trabrennbahn zu erwarten ist. Doch dann spielt auch noch das Wetter nicht mit: pünktlich zum ersten Rennen um 11.30 Uhr beginnt es, Strippen zu regnen. Die wenigen Anwesenden ziehen sich unter das Dach der beeindruckenden Tribüne zurück, während unten das Geschehen seinen Lauf nimmt.
Bis zu 4.000 Zuschauer haben dort Platz, heute sind es vielleicht 50. Aber wie gesagt: der Termin des „PMU Matinée Renntags“ ist schon allein wegen der frühen Stunde etwas für eingefleischte Fans mit Zeit. So ist das Publikum eher betagt, aber fachkundig. Lokalmatador Andreas Gläser, der das erste von vier Rennen mit Fittipaldi für sich entscheidet, wird mit warmem Applaus und vereinzelten „Andi“-Rufen verabschiedet.
Der zwischenzeitlich nachlassende Regen meldet sich pünktlich zum zweiten Rennen in alter Stärke zurück. Spätestens hier wird dem nicht szenekundigen Beobachter klar: schlechtes Wetter gibt es nicht beim Trabrennsport, das Programm wird straff durchgezogen. Schließlich wird hier - im Gegensatz zum Galopprennsport - auch noch über den Winter gelaufen.
Mit Thorsten Tietz bleibt ein weiterer „Berliner“ Fahrer siegreich. Im Jahr 2008 zog der gebürtige Recklinghausener in die Hauptstadt und lebt dort in unmittelbarer Nähe der Bahn in Mariendorf. Zuvor war er vornehmlich als Stalljunge tätig, nun ist er sehr erfolgreich im Sulky aktiv. Den Silberhelm als Zeichen für den zweitbesten Fahrer des Vorjahrs trägt er nicht zum ersten Mal. Vergangenes Jahr griff er mit Cash Hanover sogar nach der Krone im Traber-Derby in Mariendorf. Im Schlussbogen fuhr er auf der Außenbahn den Angriff an, als sein Pferd ansprang – so heißt es im Fachjargon, wenn der Vierbeiner in den Galopp verfällt – und so die Chance vergab, als erster Berliner nach 1988 wieder das größte deutsche Championat zu gewinnen.
Auf dem durch die Nässe schwierigen Geläuf in Karlshorst lässt Tietz mit Seriensieger Zauni allerdings nichts anbrennen und verweist Goldhelm Michael Nimczyk und Traber-Legende Heinz Wewering auf die Plätze. Auch in den folgenden beiden Rennen schauen die Zwei in die Röhre: Nimczyk muss zunächst im dritten Lauf auf der Zielgeraden noch den bayrischen Bronzehelm Josef Franzl passieren lassen, danach setzt sich erneut Tietz souverän durch.
Gegen 13.30 Uhr ist der „PMU Matinée Renntag“ schon gelaufen. Doch wer das Innere des Karlshorster Tribünengebäudes betritt, versteht erst, wie sich eine derartige Veranstaltung vielleicht ansatzweise rechnet: an die Gaststätte mit gutbürgerlicher, preisgünstiger Küche ist quasi ein Wettbüro angeschlossen. Über die zahlreichen Bildschirme flimmern Rennen aus aller Welt: Trab-, Galopp- oder sogar Windhundrennen. An den vielen Stehtischen werden Vorschauen studiert, Wettscheine ausgefüllt oder Rennverläufe diskutiert. Durch das Aufkommen von Internetwetten waren diese Einnahmen für die Bahnen zwischenzeitlich eingebrochen, inzwischen scheint diesbezüglich die Talsohle aber durchschritten.
Auf die insgesamt wirtschaftlich problematische Entwicklung im Pferdesport nach der Jahrtausendwende reagierte man im Bezirk Lichtenberg angemessen: eine Hälfte des Areals wurde dem Pferdesportpark Berlin-Karlshorst e.V. zur Fortführung des Rennbetriebs verkauft, die andere als Bauland veräußert. Gesundung durch Schrumpfen, wenn man so will. Sponsoren konnten ebenso wieder hinzugewonnen werden wie Investoren für verschiedene infrastrukturelle Maßnahmen – z. B. das im Bau befindliche Reittherapiezentrum auf dem Gelände. Auch die Durchführung anderer Großveranstaltungen wie etwa der Deutsch-Russischen Festtage bringt zusätzlich Geld in die Kasse. In Karlshorst hat man sich also neu aufgestellt, um den Traditionsbetrieb – hier fand 1884 das erste öffentliche Pferderennen Berlins statt, 1945 wurde das Gelände zur Trabrennbahn umgebaut – auch zukünftig zu sichern.
Ein mittleres Erdbeben verursachte dagegen im Jahr 2013 in Berlin die Ankündigung von Ulrich Mommert, sich aus dem Betrieb der Trabrennbahn in Mariendorf zurück zu ziehen. Der Unternehmer hatte das Gelände im Jahr 2005 übernommen und so vor dem drohenden Aus bewahrt. Dabei wurde ähnlich wie in Karlshorst über die Veräußerung von Teilen der Anlage wieder mehr Rentabilität erreicht. So entstanden u. a. ein Senioren- und ein Einkaufszentrum in dem betreffenden Gebiet.
Die Aussage Mommerts - ausgerechnet zum 100-jährigen Bestehen getroffen – verfehlte dann ihre Wirkung nicht. Ohne das weitere, nicht nur finanzielle Engagement des Eigentümers hätte die Existenz der Traditionsstätte im Bezirk Tempelhof tatsächlich auf der Kippe gestanden. Im Berliner Blätterwald rauschte es darob vernehmlich - und die eigentlich als Adressat gemeinte Politik in Bezirk und Land kam in Bewegung. Offenbar zumindest zu einer gewissen Zufriedenheit des Eigentümers – denn Mommert, inzwischen 75 Jahre alt und früher selbst erfolgreich im Sulky unterwegs, ist der Mariendorfer Bahn bis heute treu geblieben.
Dort findet Anfang August auch alljährlich der Höhepunkt der Trabsaison statt: die Derby-Woche mit dem Deutschen Traber-Derby, traditionell am ersten Sonntag im Monat. Zwei Pferde in niederländischem Besitz werden dabei dieses Jahr besonders hervorgehoben: Dreambreaker und Blackhawk, beide trainiert von Arnold Mollema. Es sind allerdings deutsche Pferde, da nur solche für das Derby zugelassen sind. Ein Sieg eines „Berliner“ Trabers liegt, wie bereits erwähnt, lange zurück. Immerhin aber konnte sich Ulrich Mommert letztes Jahr über den 3. Platz von Raffaelo Diamant aus seinem Stall freuen. Von den Pferden mit „Heimvorteil“ zeigten sich dieses Jahr besonders Zauni, aber auch Fiobano in guter Form.
In jedem Fall wird auch 2016 der Besucherandrang wieder groß werden zwischen dem 29. Juli und 7. August: 50 – 60.000 Neugierige lockte die Topveranstaltung des deutschen Trabersports an den sieben Renntagen zuletzt an. Etwa ein Drittel des gesamten Wettumsatzes von 7 Millionen Euro pro Jahr wird in der Derby-Woche erzielt. Stolze Zahlen, die auch zum Fortbestehen der Rennbahn in Mariendorf beitragen. Sponsoren, Investoren und ein vom Pferdesport begeisterter Eigentümer wie Ulrich Mommert sind allerdings ebenso weiterhin unerlässlich.
Als Konkurrenten verstehen sich die beiden Trabrennanlagen in der Hauptstadt im Übrigen nicht. Im Gegenteil: man stimmt sich bezüglich des Terminkalenders nicht nur untereinander, sondern obendrein auch noch mit der schmucken Galopprennbahn vor den Toren Berlins ab. Sogar hinsichtlich eines gemeinsam veranstalteten 3-Rennen-Wochenendes hat man sich jüngst ausgetauscht. Keine Frage also: Karlshorst, Mariendorf sowie Hoppegarten – diese „Dreier-Wette“ soll auch künftig weiter aufgehen.
Bericht + Fotos: Hagen Nickelé