Rugby / BRC: Vor dem Halbfinale in Frankfurt

Das Wunder von Zehlendorf*

Mit einem Team aus jungen Spielern ist der Berliner Rugby Club die Überraschung der Bundesliga – am Samstag steht nun das Halbfinale bei Meisterschaftsfavorit Frankfurt 1880 an

 

Da stand er am Rand des Spielfelds an einem Sonnabend Mitte Mai und sog die Atmosphäre der Partie und des Drumherums im Ernst-Reuter-Sportfeld sichtbar ein. Denis McGee, erster Vorsitzender des Berliner Rugby Clubs, konnte das letzte Heimspiel seines Teams in der Bundesliga Gruppe Nord/Ost rundherum genießen – und das aus vielerlei Gründen. Da wäre zunächst einmal der sportliche Erfolg dieses Nachmittags zu nennen: 73:5 heißt es am Ende gegen den Berlin Grizzlies RC, immerhin also ein Hauptstadtderby.

Gelungener Auftritt gegen Grizzlies

Die „klassische“ Rivalität besteht beim BRC zwar eher mit dem dritten Berliner Bundesligisten, dem RK 03 aus dem östlichen Ortsteil Weißensee, doch die „Grizzlies“ gelten als Newcomer in der Rugby-Szene an der Spree. Der kometenhafte Aufstieg des erst 2011 gegründeten Vereins in die Bundesliga – auch dank eines professionell anmutenden Sponsorings – ging derart schnell, dass sich die Jugendarbeit immer noch erst im Aufbau befindet. Ganz anders beim BRC: der 1926 in Charlottenburg gegründete Club verkörpert gewissermaßen Tradition und Werte des Rugby in der Hauptstadt. Von der U8 aufwärts sind alle Nachwuchsklassen mit Mannschaften besetzt – neben dem SC Frankfurt 1880 eine absolute Ausnahme in Deutschland. Und wichtig für einen Verein, der den Spielern im Herrenbereich kein Gehalt zahlen kann und so immer einen Teil seines Personals aus den Jugendteams zuführen muss. Dennoch geht es für den BRC in der Liga zwei Spieltage vor Ende der Hauptrunde aus dem positivsten aller Gründe um nichts mehr: das Team in den traditionellen, schwarz-weiß-rot gestreiften Jerseys hat sich nämlich bereits für das Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft qualifiziert. Platz 2 ist dem BRC in der Gruppe Nord/Ost nicht mehr zu nehmen – aber mit den „Grizzlies“ hat man noch eine Rechnung offen: schließlich kassierte man gegen sie im Oktober 2018 eine knappe Niederlage.

Keine eigene Heimspielstätte

BRC-Coach Uwe Maaser

So geht das Team von Uwe Maaser die Partie rasant an, auch wenn der Trainer des BRC im weiteren Verlauf alle 22 Akteure im Kader zum Einsatz bringt, um im Hinblick auf das anstehende Halbfinale am 1. Juni nicht zuviel Kraft zu vergeuden. Nur kurz gestaltet sich der Spielverlauf im ersten Durchgang offener, als die „Grizzlies“ auf 15:5 verkürzen. Doch die Gastgeber treten viel konsequenter auf und befinden sich zur Halbzeit bei einem 32:5-Vorsprung bereits auf der Siegerstraße. Die etwa 600 Zuschauer im Stadion in Zehlendorf, wo sonst der Fußball-Club Hertha 03 seine Partien austrägt, zeigen sich begeistert. Dabei sind Spielort und Kulisse für die BRC-Herren eher eine Ausnahme: zwar liegt die Geschäftsstelle des Clubs um die Ecke in der Onkel-Tom-Straße, eine eigene Heimspielstätte hat man aber immer noch nicht. So nutzt man seit Jahren etwa die Sportanlage Jungfernheide, ca. 15 Kilometer über AVUS und Stadtautobahn entfernt. Finden dort parallel andere Sportveranstaltungen statt, müssen sich die Teams schon mal in großen Zelten umziehen – und die Schiedsrichter bisweilen hinter einem Baum. Besonderer Zuschauerandrang herrscht dort schon wegen der Entfernung zum Heimatstandort also nicht – vielleicht aber auch, weil sich die Rugby-Herren bislang sportlich in diesem Jahrzehnt eher im Mittelmaß bewegen. In den Jahren 2013 (Viertelfinale) und 2014 (Halbfinale) hatte es zwar noch für das Erreichen der Playoffs gereicht, ansonsten rangierte man aber jenseits von Gut und Böse. Lokalrivale RK 03 rückte zuletzt ins Rampenlicht mit seinen drei Teilnahmen an der K.O.-Phase, aber auch wegen seiner in Weißensee in Eigenregie ausgebauten Spielstätte. Das Stadion Buschallee beeindruckte selbst an höchster Stelle – weshalb die Führung des Deutschen Rugby-Verbands (DRV) in ungewohnter Weise zuletzt zweimal in Folge die Ausrichtung des Endspiels an den RK 03 vergab. Dieses Jahr wird es nur wegen kurzfristiger Terminveränderungen nicht in Weißensee, sondern in Frankfurt stattfinden.

Jugendarbeit als Schlüssel

BRC-Vorsitzender Denis McGee

Beim Berliner Rugby Club arbeitete man derweil zunächst einmal daran, aus dem Nachwuchs perspektivisch ein Herren-Team zu entwickeln, das wieder um die Playoffplätze 1 und 2 im Nordosten mitspielen kann. „Das macht viel mehr Arbeit, als ‚fertige Spieler‘ zu holen“, weiß der BRC-Vorsitzende McGee. Als „internationale Stadt“ biete Berlin dabei auch Möglichkeiten, etwa Studenten aus Frankreich, Großbritannien oder Neuseeland für den Verein zu gewinnen – das Fundament aber, so der in Berlin geborene Sohn eines Schotten, bleibe die Jugendarbeit. Deswegen wurden im Verein auch Änderungen durchgeführt, z. B. ein hauptamtlicher Trainer im Nachwuchsbereich angestellt, um den Heranwachsenden Kontinuität bieten zu können. Die Maßnahmen trugen inzwischen Früchte: 2018 wurde die U18 des BRC Deutscher Meister. Doch der Sprung vom Nachwuchs- in den Männerbereich ist im Rugbysport mindestens so groß wie in anderen Disziplinen. Talente wie die Brüder Gleitze, Andreas Weinberger oder Nico Schätzlein aus dem Jahrgang 2000 haben ihn zuletzt erst wieder gemacht – um so überraschter sind die Verantwortlichen in Zehlendorf, dass das Team schon in dieser Saison so erfolgreich abgeschnitten hat. Auch Uwe Maaser freut das selbstredend, doch bei aller Euphorie behält er den Blick für das Gesamtprojekt: „Wichtig ist, dass wir auch in den kommenden Jahren immer wieder Jugendliche hochziehen, die bei den Herren mitspielen können“, so der Coach, der erst als Spieler und dann Trainer alle Altersklassen im Club durchlaufen hat, bevor er im Sommer 2018 das Bundesliga-Team übernahm.

In den Playoffs beim Titelfavoriten

Im Halbfinale wartet nun die schwere Aufgabe beim Süd/West-Ersten SC Frankfurt 1880. Dem Titelfavoriten schlossen sich vor der Saison mehrere Spieler des Serienmeisters Heidelberger RK an – unter ihnen Samy Füchsel, der im BRC-Nachwuchs mit Rugby begann und heute Nationalspieler ist. Bezüglich der finanziellen Möglichkeiten der beiden Vereine stellt Denis McGee dann auch einen plastischen Vergleich an: „Das ist etwa so, als wenn Bayern München gegen Hertha BSC spielt.“ Der BRC-Vorsitzende veranschlagt den Etat jedenfalls für die drei Herrenteams bei knapp 50.000 Euro – Reisekosten, die den Großteil ausmachen, inklusive. Nun sagt die Statistik, dass Hertha BSC zuletzt 1977 bei den Bayern gewinnen konnte – doch Denis McGee outet sich vor dem Halbfinale als Optimist: „Wenn wir so spielen wie gegen die Grizzlies, wird es ein enges Match – mit dem hoffentlich glücklicheren Ende für uns.“

*Der Beitrag ist auch in der aktuellen Print-Ausgabe des FORUM-Magazins erschienen

Beitrag+Fotos: Berlinsport Aktuell/Hagen Nickelé