Die Modell-Athletin

Nach Gold in Peking 2008 träumt Lena Schöneborn im Modernen Fünfkampf noch einmal vom Treppchen bei ihren letzten Olympischen Spielen in Rio

Wäre es nach Jacques Rogge gegangen, hätte Lena Schöneborn ihren größten Triumph überhaupt nicht feiern können. Der ehemalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) nämlich brachte im Jahr 2002 den Vorschlag ein, die Disziplin Moderner Fünfkampf ab den Spielen in Peking 2008 aus dem Programm zu streichen. Eine grandiose sportliche Karriere wäre so ungekrönt geblieben. Die Session des IOC lehnte den Vorschlag Rogges allerdings ab – gewissermaßen zum Glück von Schöneborn.

Zu diesem Zeitpunkt war die gebürtige Troisdorferin allerdings noch ein Teenager – aber bereits deutsche Jugendmeisterin im Vierkampf, der bis auf Reiten die klassischen Sportarten dieser Disziplin (Fechten, Laufen, Schießen und Schwimmen) enthält. Der Beginn einer Bilderbuchkarriere: 2004 mit 18 erstmals Deutsche Meisterin im Modernen Fünfkampf, ein Jahr darauf in Moskau Siegerin bei der Weltmeisterschaft der Junioren sowie bei den Erwachsenen im Staffelwettbewerb gemeinsam mit Kim Raisner, die heute zu ihrem Trainerstab gehört.

Auch die Weltmeisterschaft 2007 in ihrer sportlichen Heimat Berlin, wo sie am Olympiastützpunkt trainiert, verlief für Schöneborn äußerst erfolgreich: 2-mal Silber (Einzel, Team) plus Bronze in der Staffel. Und dann der olympische Wettbewerb im Jahr 2008 – der nicht sonderlich gut für die damals 22-Jährige begann. Nach der Eröffnungsdisziplin, dem Luftpistolenschießen, lag sie nur auf Rang 21. Doch dann folgte das Degenfechten und ein sensationeller Auftritt: 28 von 35 Gefechten entschied Schöneborn für sich und stürmte an die Spitze des Klassements. Im Schwimmen legte sie dazu über 200m Freistil eine neue persönliche Bestzeit (2:16,91 Minuten) hin, auch das Springreiten absolvierte sie mit lediglich einem Abwurf – sodass sie im abschließenden 3000m-Geländelauf die Konkurrenz in Schach halten konnte. Belohnung für den langen, harten Arbeitstag in Peking: 5792 Punkte - die Goldmedaille, mit gerade mal 22 Jahren. Der erste Podiumsplatz für Deutschland in dieser olympischen Disziplin seit 72 Jahren, als Gottfried Handrick den Wettbewerb der Männer in Berlin gewann.

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Rheinische Frohnatur: Lena Schöneborn beim Schwimmtraining im Olympiapark Berlin

Über Nacht wurde Schöneborn zum Sportstar, dem Gesicht des Modernen Fünfkampfs zumindest in Deutschland. Inzwischen ist sie mit über 30 Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften aber auch zur erfolgreichsten Athletin ihrer Disziplin überhaupt avanciert. Die Erfolge und sicher auch die unkomplizierte und fröhliche Art ihrer rheinischen Heimat (als Hobby nennt sie u. a. den Kölner Karneval) verschafften ihr bis heute eine beachtliche Medienpräsenz. Dennoch rückt ihre Sportart eigentlich nur alle vier Jahre zu den Olympischen Spielen ins öffentliche Interesse. Bis zum Triumph in Peking hatte sie keinen Sponsor. Als „Gold-Lena“ sprang der „Motor“ diesbezüglich zwar an - aber die Werbespots mit Fußballtrainer Felix Magath, die noch 2010 für die Stiftung „Sportler für Sportler“ der Deutschen Fußball-Liga (DFL) produziert wurden, verdeutlichten auch, wie groß sich der Unterschied beim finanziellen Aspekt aktiver Sportler nach wie vor gestaltet.

Inzwischen, sagt Schöneborn, kann sie sogar von ihrem Sport leben. Der Spaß an ihrer Disziplin steht aber wie früher absolut im Vordergrund. Anders ist wohl auch kaum zu erklären, wie die mittlerweile 30-Jährige ihr Pensum absolviert. Der Leistungssport im Modernen Fünfkampf erfordert nun mal Übungen gleich in fünf Einzeldisziplinen – da kann ein Trainingstag auch schon mal von 7.30 Uhr bis 20 Uhr dauern. Parallel dazu studierte Schöneborn fünf Jahre „Business Administration“ an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und machte 2013 dort den Master-Abschluss im Fach „International Marketing Management“. Inzwischen arbeitet sie als Selbständige bei einer Marketingagentur in der Hauptstadt, schafft es aufgrund ihrer Verpflichtungen im Bereich Sport allerdings nur selten auf 20 Arbeitsstunden in der Woche. Energie und Ausdauer – damit hat Lena Schöneborn also auch abseits der Trainingseinheiten keine Probleme.

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Schöneborn (2. v. l.) beim Training mit dem Olympia-Team: Annika Schleu, Christian Zillekens und Patrick Dogue (v.l.n.r.)

Auch die verschiedenen Änderungen bei der Durchführung der Wettbewerbe, mit denen der Moderne Fünfkampf mittlerweile zeitgemäßer gestaltet wurde, konnten sie nicht davon abhalten, weiterhin in der Weltspitze mitzumischen. Denn nicht nur in der Ägide von IOC-Präsident Rogge, sondern auch davor und danach stand die Disziplin immer wieder auf dem Prüfstand. Ein Deutscher war maßgeblich daran beteiligt, dass diese Form des Mehrkampfs bei Olympia weiterhin über die Bühne gehen darf. Klaus Schormann, seit 1993 Präsident des Weltverbands UIPM, vernahm die wiederkehrenden, kritischen Signale und gestaltete an der Spitze die notwendigen Umbaumaßnahmen mit. So fand die Durchführung des olympischen Wettbewerbs bereits seit Atlanta 1996 nur noch an einem Tag statt. Im Jahr 2008 beschloss die UIPM eine Zusammenlegung des Lauf- und Schießprogramms zum Combined – vergleichbar dem Biathlon also. Zwei Jahre später stieg man beim Schießen von scharfer Munition auf Lasertechnik um. Einerseits konnten dadurch z. B. die Kosten für Sicherheitsvorkehrungen drastisch gesenkt werden, andererseits sammelte man durch die nun auch verbesserte Umweltverträglichkeit – ein Thema, das bei der Organisation von Sportevents immer mehr in den Fokus rückt – zusätzlich Pluspunkte.

Lena Schöneborn soll anfangs übrigens keine Freundin des neuen Combined gewesen sein. Dass die Veränderungen vielleicht ein Grund für ihren verpatzten Auftritt bei den Spielen in London 2012 gewesen seien, weist sie aber zurück. Oft, sagt Schöneborn, sei sie auch nach Wettkämpfen ohne Topplatzierung durchaus zufrieden mit ihren Leistungen – ausgerechnet in Englands Hauptstadt aber war Schöneborn es nicht. Sie spricht dabei von der Wichtigkeit der Tagesform, die gerade bei einem Mehrkampf aus fünf sehr unterschiedlichen Einzeldisziplinen von besonderer Bedeutung ist. In London passte es einfach nicht zusammen, waren ihre Leistungen ihrer eigenen Einschätzung nach schlecht – auch wenn der abschließende Platz 15 als solcher nicht als Absturz zu bewerten ist. Enttäuschung: ja, Verzweiflung: nein – die Athletin, die zu diesem Zeitpunkt bereits beinahe alles gewonnen hatte, wollte weitermachen. Weil sie immer noch Spaß an der Ausübung ihrer Sportart hatte, trotz Mühsal und Plackerei im (Trainings)-Alltag.

Die Entscheidung, auch den nächsten Zyklus von vier Jahren in Angriff zu nehmen, war schnell gefallen - bis zu den Spielen in Rio de Janeiro also. Trotz späteren Einstiegs ins Training holte sie bei der EM 2013 zweimal Bronze im Staffel- und Teamwettbewerb (diese werden bei Olympia nicht ausgetragen), ein Jahr später gar den Europameistertitel in Einzel und Team sowie Silber in der Staffel. Von „Amtsmüdigkeit“ also keine Spur – doch es sollte noch besser kommen. Ausgerechnet bei der „Heim-WM“ in Berlin konnte sie die letzte Lücke in ihrer Titelsammlung schließen: Weltmeisterin im Einzel!

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Combined: Das Schießen wird seit 2008 in Verbindung mit der Laufdisziplin durchgeführt

Dieses Jahr nun stehen die Wettkämpfe natürlich ganz im Zeichen von Olympia. Beim Härtetest, den Weltmeisterschaften im Mai in Moskau, holte sie sich durch einen starken Combined zum Abschluss noch Platz 3. Die Europameisterschaft im Juli in Sofia ließ Schöneborn dagegen zugunsten individueller Vorbereitung aus. Bei allen Weltcup-Starts 2016 erreichte sie einen Platz auf dem Podium – auch bei dem als „Olympiatest“ bezeichneten Programm im März in Rio de Janeiro. Dort konnten die Athleten nicht nur die Sportstätten unter Wettkampfbedingungen kennenlernen, sondern z. B. auch mit den Pferden das Springreiten üben, die im August beim Saisonhöhepunkt zur Verfügung gestellt werden.

Der olympische Wettbewerb in Brasiliens Metropole wird dabei noch eine Veränderung erleben. Um das Programm zu entzerren und dem Publikum alle Einzeldisziplinen innerhalb einiger Stunden und an einer Sportstätte anbieten zu können, wurde beim Fechtprogramm ein Dreh im Modus gefunden. Der eigentliche Wettkampf in dieser Disziplin mit seinen zahllosen Gefechten nach dem üblichen Prinzip „Jede gegen Jede“ findet bereits am Vortag statt. Am eigentlichen Tag der Entscheidung im Modernen Fünfkampf bei den Frauen, dem 19. August (ab 17 Uhr MESZ), wird dann mit dem Degen nur noch eine Bonusrunde ausgefochten, in der vor allem die schlechter platzierten Athletinnen Gutschriften erhalten können. Lena Schöneborn wird man in dieser Runde voraussichtlich nur wenig erleben – ist das Fechten doch ihre Paradedisziplin. Dort und beim abschließenden Combined-Wettbewerb hat die Olympiasiegerin von 2008 ihre besonderen Stärken. Wenn alles normal läuft und ihre Tagesform stimmt, erwartet Schöneborn von sich – ohne jegliche Form von Arroganz – schon einen Podestplatz. Vielleicht kommt es sogar zum Zweikampf um Gold mit ihrer wohl größten Konkurrentin Laura Asaidauskaite aus Litauen. Die Siegerin von London 2012 und Schöneborn bestimmten jedenfalls zuletzt die Wettbewerbe im Weltcup.

Und was passiert nach den Olympischen Spielen? In dieser Hinsicht liegt der Fall klar für Lena Schöneborn – Tokio 2020 will sie nicht mehr absolvieren, mit all den Strapazen über weitere vier Jahre. Dass nach Rio Schluss ist, heißt das aber nicht zwangsläufig. Möglich, dass sie noch das eine oder andere Jahr dranhängt – einfach aus Spaß an „ihrer“ Sportart.

Beitrag + Fotos: Hagen Nickelé